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Channel: Markus Väth
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Über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie

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Bild einer vierköpfigen Familie am Strand

Vor einiger Zeit schrieb ich an dieser Stelle über die bewusste Entscheidung von Frauen, zugunsten der Familie in Teilzeit zu gehen. Ich  sah darin ein neues Selbstbewusstsein, eine neue weibliche Gestaltungsmacht inklusive einer Absage an den humanverschlingenden Kapitalismus mit seinem Drang, den ganzen Menschen zu beanspruchen. Frauen wären nach dieser Interpretation Speerspitzen des New Work – Gedanken, der eine sinnvolle Lebensplanung auch abseits der eigenen Karriereplanung herausfordert. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille.

Teilzeit ist immer noch was für Muttis und Kranke

Die andere Seite der Medaille beschreiben zwei hervorragende Texte, die ich gestern zum Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ las. Die Autorin Pia Ziefle schreibt, es fehle an der Normalität, „ dass Kinder eben da sind und genauso zum Leben gehören wie, ähm, wie die Tapeten an der Wand? Wie die Blätter an den Bäumen? So in etwa. Dass sie so normal dazugehören, dass niemand im Büro rumdrucksen muss, weil sie schwanger ist, weil er noch ein Kind erwartet, weil alle früher nach Hause müssen zum Laternenumzug. Dass wirklich niemand überlegen muss, bewerbe ich mich auf diese oder die andere Stelle [..]. [..] Wenn wir von Vereinbarkeit sprechen, muss zuerst klar sein, dass wir hier als Gesellschaft Kinder bejahen. Was definitiv nicht der Fall ist.“

Warum ist das ein Problem für New Work? Weil die Personal- und Organisationsentwicklung in unserer Wirtschaft immer noch nach teilzeit- und kinderfeindlichen Gesichtspunkten läuft. Und da bei  „Teilzeit“ immer noch automatisch „Frau“ mitgedacht wird, läuft das Ganze auf den Fetisch der männlichen Vollzeitstelle hinaus. Wenn wir Frauen und Männern beidermaßen größtmöglichen Gestaltungsspielraum in Beruf und Familie zubilligen wollen, ist eine solche Denkfalle Gift.

Man wird nicht wegen, sondern trotz Kindern eingestellt

Der anonym bloggende „ersatzpapi“ bringt es auf den Punkt: „Es macht keinen Sinn, dass Eltern einem potentiellen Arbeitgeber erklären müssen, wie sie die Betreuung der Kinder denn regeln. Dass Eltern einen Lebenslauf zu erklären haben, in dem Lücken in der Berufstätigkeit aufgrund von Betreuungszeiten für die Kinder vorkommen. [..] Dass Karrieren unwiderruflich beendet sind, wenn man sich eine Zeitlang um die Kinder kümmert. Dass es Eltern gibt, die ihre Kinder gar nicht oder teilweise gar nicht sehen, weil sie sich für einen bestimmten Karriereweg entschieden haben.“

Die überwiegende Erfahrung von Arbeitnehmern und Arbeitssuchenden ist ganz klar: Man wird nicht wegen, sondern trotz Kindern eingestellt. Was für eine verrückte, lebensfeindliche Haltung! (die ich allerdings leider auch in meiner eigenen Arbeit immer wieder bestätigt bekomme). Übrigens komme man mir nicht mit dem Argument der 40h-Woche-Verfügbarkeit:

  • Erstens kenne ich nicht wenige Firmen, die an ihrem Präsentismus kranken, die bräuchten an manchen Stellen gar keine Vollzeitfräfte (während sie an anderer Stelle absaufen, auch das kommt vor).
  • Zweitens kann man Arbeit heutzutage intelligent organisieren, ohne dass man ständig im Büro hockt: mit Home Office, Job Sharing (wenn man sich traut), flexiblen Arbeitszeiten etc.
  • Drittens kann man die Power und Kreativität, die Arbeitgeber von einem verlangen, gar nicht acht Stunden pro Tag abrufen. Voll da ist man höchstens drei Stunden, der Rest ist mehr oder minder organisierte Füllung mit Mails, Einschlaf-Meetings oder Administration.

Vereinbarkeit geht nur über die Männer

Um eine echte Kultur der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen, muss man die Männer und speziell die Väter gewinnen. Die Frauen haben sich jetzt genug abgehampelt. Das Ergebnis ist überschaubar. Ohne die Männer ab 40 in Führungspositionen gewinnt man hier keinen Blumentopf. Aber die sind schwer zu knacken, beruht doch ihre Erfolgsformel in der Regel auf Selbstausbeutung und „job first“. Es wird also noch lange dauern und viele Gespräche und Blogartikel brauchen, bis man im Bewerbungsgespräch hört: „Sie haben Kinder? Klasse, Sie sind eingestellt!“


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