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Channel: Markus Väth
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Über Digitalisierungsblindheit im Mittelstand

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Letzte Woche schrieb ich einen Blog-Artikel wider die „Deutsche Dekadenz“, welche unter anderem dafür sorgt, dass unser Bildungssystem lahmt, wir digital nichts auf die Beine stellen oder dass sich Autokonzerne erfolgsbesoffen an ihrer Vergangenheit berauschen. Ohne zu bemerken, dass vor ihnen der Abgrund eines überalterten Geschäftsmodells gähnt.

Wie zur Bestätigung meiner Befürchtungen kommt mir gestern eine Studie der Bertelsmann-Stiftung unter die Augen, die sich mit Thema „Zukunft der Arbeit in deutschen KMU“ beschäftigt. Die Studie fasst die Zukunftsfähigkeit der KMU in Deutschland ungewöhnlich drastisch zusammen (Hervorhebungen von mir):

  • Eine ganzheitliche Neugestaltung der Arbeitsorganisation mittels digitaler Technologien oder auch zur Umsetzung eines neuen digitalen Geschäftsmodells ist bisher nicht erkennbar. Kritisch anzumerken ist, dass der Fokus in Deutschland verstärkt auf Prozesseffektivität, weniger auf neuen Geschäftsmodellen liegt.

  • Typische Digitalisierungsprojekte beziehen sich so meist auf die rein technologische Komponente, ein notwendiger Kulturwandel wird nicht gesehen.

  • Eine vollkommene Neugestaltung der Zusammenarbeit von Menschen aus verschiedenen Institutionen durch digitale Technologien ist aktuell nicht erkennbar.

  • Die Nutzung von Crowdworking-Lösungen steht in der gesamten deutschen Wirtschaft noch am Anfang, womit Deutschland im internationalen Vergleich in diesem Punkt auf den letzten Plätzen liegt.

  • Das Erfolgsmodell altersgemischter Führungsteams (Offenheit und Zuständigkeit) wird nicht erkannt.

  • Die digitale Kompetenz in Bezug auf Datenschutz und Datensicherheit fehlt.

  • Insgesamt existieren zu geringe Internetgeschwindigkeiten.

Ein insgesamt vernichtendes Urteil, das mich in dieser Deutlichkeit schon erstaunt – versuchen doch gerade solche Studien in der Regel, das Für und Wider abzuwägen. Man kann den Bertelsmännern auch keine Sorglosigkeit unterstellen: Liest man sich die 72-seitige Studie durch und scrollt anschließend durch die angehängte Sekundärliteratur, muss man sagen, dass sie sich wirklich sehr viel Mühe gegeben haben.

Ich will hier gar nicht auf einzelne Unteraspekte der Studie eingehen. Man kann sich die Studie hier als PDF herunterladen und sich in 15 – 30 Minuten einen eigenen Einblick verschaffen. Nur ein Ergebnis der Studie will ich hier noch zitieren, weil es mich zwar sehr besorgt, aber überhaupt nicht überrascht: Die sogenannte Digitale Transformation wird immer noch als reine Angelegenheit von neuer Software und technologischen Prozessen begriffen und immer noch nicht als die grundstürzende Revolution des Denkens und Handels, die sie nun mal ist:

Mittelständler sehen Digitalisierung noch selten als ein tiefgreifendes Change-Projekt, sondern häufig noch als ein alleiniges Technologieprojekt. Veränderungen der Unternehmensstruktur und damit einhergehende nötige kulturelle Veränderungen stellen eine der größten Herausforderungen dar. [..] Digitalisierung wird bisher kaum mit Verhaltensänderung und Paradigmenwechsel gleichgesetzt, sondern vornehmlich als Technologiethema: 40 Prozent greifen Digitalisierung als Technologiethema auf, 33 Prozent sehen es als Geschäftsmodell-Thema, nur 6 Prozent greifen es als Thema der Verhaltensweisen bzw. Paradigmenwechsel auf.

Wie sagt der Kölner: „Et is noch immer jot jejange!“ Diese Einstellung scheint Konsens zu sein unter den Mittelständlern in Deutschland. Ich frage mich: Was braucht es noch, damit der Mittelstand aufwacht? Der Witz ist ja, dass jeder Normalbürger vor Arbeitsbeginn und nach Feierabend ein Digital Native ist, der Serien über Netflix schaut, mit seinen Freunden über Whatsapp chattet und seine Steuererklärung elektronisch abgibt. Nur auf der Arbeit mutiert er anscheinend zum Neandertaler, der eine Maus nicht von einem USB-Stick unterscheiden kann. Was soll das?

Wir halten uns digital künstlich doof, weil wir Angst haben vor Veränderung, weil wir die Investitionen scheuen und weil wir glauben, dass es noch länger gut gehen wird. Tut es nicht! In dem großartigen Film „Margin Call – Der große Crash“ verrät der CEO einer Großbank – gespielt von Jeremy Irons – einem Mitarbeiter sein Erfolgsgeheimnis: „Es gibt in diesem Spiel drei Wege, um zu gewinnen: der Erste sein, der Schlauste sein oder zu betrügen. Betrügen will ich nicht, und der Schlauste bin ich nicht. Also muss ich, müssen wir die Ersten sein.“

Welche Erfolgsoption hat der deutsche Mittelstand, wenn er die Digitalisierung noch länger verschleppt?


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