Nebelkerzen sind eine feine Sache. Sie erfordern keine große strategische Kreativität, man zündet sie einfach, wirft sie in das Kampfgebiet und – zisch, der Gegner hält sich hustend und tastend die Hand vor Mund und Kompass, bis er sich fragt: Wo geht’s hier eigentlich zum Feind? Nebelkerzen werden in Wirtschaft und Politik immer beliebter. Statt sich mit Kernfragen zu beschäftigen, wird das Aktionsgebiet mit Nebelkerzen und Ablenkungsmanövern eingedeckt, bis sich alle Anwesenden fragen: War da was?
Jüngstes Beispiel: Der Datenhack von Politikern und Promis. Das wird jetzt wieder aufgebauscht bis zum Geht-nicht-mehr:
- Das BSI zerrt man vor den Kadi, weil es angeblich nicht früh genug informiert hat (haben die Motzer eigentlich schon mal was von „Honeypots“ gehört? Einfach mal „IT Security“ und „Honeypot“ googlen.)
- Ein ARD-Kommentator halluziniert von „kreativen Ideen“ zur IT-Sicherheit. Es liegt nicht an fehlender Kreativität, sondern an der politischen Schläfrigkeit, dass Deutschland IT-Drittweltland ist. (Und dann verwechselt er auch noch Datenschutz mit Datensicherheit, aber das spielt kompetenzmindernd schon gar keine Rolle mehr.)
- Und, Gipfel der Tragödie: Robert Habeck, der Literat unter den Spitzenpolitikern, schließt seinen Twitter- und Facebook-Account! Jetzt ist Deutschland natürlich im Eimer. Wenn schon die Grünen ihre Social Media – Accounts schließen müssen.
Merken Sie was: Ich kann mich da super drüber aufregen, und vielleicht mit Recht. Aber das sind alles Nebelkerzen. Diese Meldungen lenken ab von den eigentlichen IT-Problemen, über die niemand sprechen will, weil wir uns sonst eingestehen müssten, dass die Politik hier auf dem letzten Loch pfeift: Es gibt ganze vier (!) Digitalgremien, die die Politik beraten sollen, den Ethikrat, den Digitalrat und noch zwei mit erlesenen Köpfen besetzte Gremien. Auch nach dem Hack schreit man natürlich wieder nach – raten Sie mal – Gesetzesverschärfungen und natürlich einem „Ausschuss“, der wieder alles besser koordinieren soll zwischen BKA, BSI, dem Kanzleramt, dem Postamt Wanne-Eickel etc.
Alles Nebelkerzen. Alles Theater für die Galerie.
Wenn wir ernsthaft diskutieren wollen – und das gilt für alle Themen in Wirtschaft und Gesellschaft, nicht nur für das digitale Deutschland-Drama -, dann müssen wir über Dinge reden, die uns selber weh tun:
- Die Bürger pfeifen auf IT-Sicherheit, solange sie Katzenfotos auf Facebook tauschen können. Wir machen uns digital nackig, weil’s halt bequem ist. Das ist auch okay, aber wir sollten ehrlich sein.
- Die Politiker haben keinen Bock auf den Rat von Experten. Gerade in Deutschland ist das richtig schlimm; kanadische oder dänische Politiker sind beispielsweise nicht so beratungsresistent.
- Die Unternehmen haben keine Lust, in IT-Sicherheit zu investieren. Das ist für sie „totes Kapital“ und maximal unsexy. Ich war früher bei einem Konzern für Disaster Recovery und Risikomanagement zuständig; da beißt du budgettechnisch auf Granit.
- Die Telekommunikationsausrüster haben keinen Bock zu investieren, weil es sich für sie nicht rentiert. Aber anstatt zu verhandeln, klagen sie lieber gegen den Staat, um das Verfahren für alle zu verzögern.
Das Problem dabei ist: In vielen Bereichen haben wir keine Zeit mehr für weiteres Nebelkerzen-Werfen. Es ist Zeit zu handeln – JETZT. Und der erste Schritt dahin ist, Nebelkerzen und „Schwarzer Peter“ – Bullshit nicht mehr zu akzeptieren: nicht von Politikern, nicht von Journalisten, nicht vom eigenen Chef. Ja, genau: Wer Veränderung will, muss mutig sein und die Mächtigen herausfordern. Da müssen Sie persönlich ins Risiko gehen, wenn es die Sache wert ist. Angst hat noch keinen irgendwohin gebracht. Deswegen gilt mein wohlfeiler Nebelkerzen-Rant nicht nur der Politik, sondern auch unserem Alltag in den Unternehmen dieser Republik.
Seien Sie mutig, räumen Sie Nebelkerzen ab und seien Sie ehrlich mit sich selbst, Ihren Kollegen und Ihren Chefs. Die Zeit für Bullshit läuft ab.