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Channel: Markus Väth
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Bullshitjobs und die Frage nach dem beruflichen Sinn

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Bild eines Mannes, der eine Straße fegt

Der Publizist (und Professer für Anthropologie) David Graeber hat wieder eine interessante Debatte losgetreten. Nach seinem Bestseller „Schulden: Die ersten 5.000 Jahre“, in welchem er sich mit der Evolution des Geldsystems befasst, knöpft er sich diesmal sinnlose, künstlich spezialisierte bzw. unproduktive Berufe vor: Bullshitjobs eben. Menschen wie Investmentbanker oder Immobilienmakler seien die „Hofnarren des Kapitalismus“. Ihre Tätigkeiten seien im Grunde unsinnig, künstlich und dienten der Gesellschaft in keiner Weise. Die ZEIT greift das Thema auf:

„Damals, kurz nach dem Abitur, da lockte die Zukunft mit Bedeutsamkeit. Wir wollten Arzt werden, Lehrer, Anwalt. Dann schrieben wir uns für das Studium ein, landeten irgendwann im Master für Kultur- und Eventmanagement, Auditing and Taxation oder Advanced Safety Sciences. Und jetzt? Arbeiten wir als Fachreferent für medizinisches Versorgungswesen, als Regionalkoordinator im Bildungsmarketing, als Senior Legal Advisor in einer Unternehmensberatung. Tätigkeitstitel, die klingen, als sollten sie etwas kaschieren.“

Menschen leiden instinktiv unter ihrem Bullshitjob

Ich danke David Graeber für diesen Begriff. Er beschreibt ein Phänomen, unter dem viele meiner Klienten leiden: der Sinnlosigkeit ihres beruflichen Tuns. Denn Menschen möchten Sinnvolles tun, ihrem Leben ein Gefüge geben, wie es schon der große Viktor Frankl erkannte. Bullshitjobs sorgen für das Gegenteil: Mag der Titel noch so aufgeblasen und auf Englisch sein, kann man den menschlichen Instinkt nicht betrügen. In diesem Sinne hat eine Lidl-Kassiererin einen gefühlt höherwertigeren Job als ein „Event- & PR Specialist“ bei einem Konzern.

Sinn ist nicht gleich Sinn

Die Debatte um beruflichen Sinn ist aktuell, wird aber teilweise nebulös geführt. Den Begriff Sinn muss man präzisieren, um mit ihm zu arbeiten, wie auch die ZEIT erkennt:

„Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ermittelt regelmäßig, als wie sinnvoll Arbeitnehmer ihre Jobs empfinden. Eine nicht ganz unerhebliche Minderheit von 35 Prozent hat demnach zwar den Eindruck, mit ihrer Arbeit keinen oder einen unwesentlichen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, also eine Tätigkeit zu verrichten, auf die Welt eigentlich verzichten kann. Allerdings vollbringen viele von ihnen das Kunststück, ihren Job auch ohne gesellschaftliche Relevanz für erfüllend zu halten: Nur 14 Prozent geben an, dass sie sich nicht oder kaum mit ihrer Arbeit identifizieren.“

Beruflichen Sinn kann man sich als Resonanzmodell vorstellen: Resonanz mit dem Ich (Selbstwirksamkeit), dem Du (Soziale Wirksamkeit) und dem Wir (Gesellschaftliche Wirksamkeit) – siehe auch das Kapitel „Vom Sinn und Unsinn der Arbeit“ in meinem aktuellen Buch. So kann beispielsweise ein Job eine hohe Selbstwirksamkeit haben (ich kann meine Fähigkeiten sehr gut ausleben), aber nur eine geringe gesellschaftliche Wirksamkeit (das, was ich tue, macht für die Gesellschaft mehr oder weniger keinen Sinn). In Graebers Theorie würde diese Konstellation dem erfolgreichen Investmentbanker entsprechen.

Der Widerspruch zwischen Sinn-Appellen und realen Arbeitsbedingungen wird größer

Der Artikel stellt eine weitere Gretchenfrage moderner Arbeitsgestaltung: Wenn wir soviel Wert auf Sinn in der Arbeit legen, warum halten wir dann offensichtlich aufgeblasene Jobs, künstlich hochgezüchtete Ausbildungen (allein in Deutschland gibt es 18.000 verschiedene Studengänge!) und unsinnige Tätigkeiten am Leben?

„Warum bezahlt eine Ökonomie Tätigkeiten, die sie nicht braucht? Hier wird Graebers Aufsatz eigentlich erst interessant. Seine Antwort: um sich Loyalität zu erkaufen. Die größten Arbeitssurrogate sind die, die eine Identifikation mit den Reichen und Mächtigen befördern. Es sind die Jobs der Unternehmensberater, der Fachanwälte für Gesellschaftsrecht, der Marketingspezialisten, der promovierten Finanzjongleure. [..] Je sinnvoller hingegen eine Tätigkeit für die Gesellschaft ist, so Graebers paradoxe Beobachtung, desto schlechter wird sie bezahlt. Je überflüssiger der Job, desto üppiger das Gehalt.“

Wenn wir ernstmachen wollen mit New Work, müssen wir das Problem der beruflichen Sinnfindung und das Phänomen der Bullshitjobs von zwei Seiten anpacken. Erstens sollten wir für die Gesellschaft sinnlose Berufe in Frage stellen. Dafür brauchen wir vernünftige Kriterien der Sinnhaftigkeit: Soll ein Job unmittelbar etwas produzieren? Soll er direkt ein Bedürfnis befriedigen? Soll er im Rahmen einer Dienstleistung direkt am Menschen arbeiten? Eine solche Diskussion wäre wahrlich interessant. Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass heute arbeitende Menschen von ihrer Arbeit leben können. Der Mindestlohn war hierfür schon ein Schritt in die richtige Richtung. Eine Gesellschaft, die die Arbeit in den Mittelpunkt stellt und die Arbeitenden gleichzeitig millionenfach in prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen schickt, wird diese Spaltung nicht lange durchhalten.


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