Vorgestern habe ich ein Interview mit Bodo Janssen gelesen, dem Chef des Hotelunternehmens Upstalsboom. Janssen und seine Führungsriege bekamen vor einigen Jahren Werte einer Mitarbeiterumfrage um die Ohren gehauen, die sich gewaschen hatten. Von fehleendem Vertrauen war die Rede, von „null Karrieremöglichkeiten“ und anderen Misständen. Janssen reagierte anders als andere Chefs: Er machte die Ergebnisse öffentlich, nahm sich selbst eine Auszeit, reflektierte die Situation und setzte schließlich für die komplette Belegschaft einschließlich der Führungscrew und ihm ein Programm nach New Work – Maßstäben auf, in dem „seine Angestellten herausfinden sollten, was sie wirklich glücklich in ihrem Job macht. Und er versprach, dass das Unternehmen jeden im Rahmen der Möglichkeiten dabei unterstützen würde. So durfte sich etwa ein Zimmermädchen seinen lang gehegten Traum verwirklichen, in die Rezeption zu wechseln, ein Koch ins Controlling.“
Die Geschichte nahm ein gutes Ende. Das Unternehmen reifte, ist immer noch erfolgreich und Bodo Janssen wurde zu einer Art Star der New Work – Szene (inklusive Buch und Film). Spannend an dieser Begebenheit – und an vielen anderen New Work – Erfolgsstories – finde ich, wer darin überhaupt nicht vorkommt: die Politik.
Die Politik versäumt ihre Aufsichtspflicht über die Zukunft
Die Stille in der Politik zu New Work ist ohrenbetäubend. Vielleicht weil man mit dem Thema noch nichts anzufangen weiß, vielleicht, weil man dessen Bedeutung unterschätzt, vielleicht, weil man nur einzelne Bruchstücke aus dem Zusammenhang reißt (wie die Diskussion um ein Grundeinkommen). Tatsächlich versäumt hier die Politik ihre „Aufsichtspflicht über die Zukunft“. Normalerweise haben gute Politiker einen Riecher für Themen, die die Bevölkerung umtreiben. Aber eventuell hat der Gestank des Populismus ihre Nasen für die feineren Themen-Gerüche abseits der Flüchtlingsfrage unempfindlich gemacht. Das ist nicht nur schade, sondern besorgniserregend. Rente, demographischer Wandel, Minijobs, die Schere zwischen Reich und Arm: all das sind Themen, die nach neuen Ideen, niveauvoller (!) Diskussion und dem Willen zur Lösung geradezu schreien.
Die Zukunft der Arbeit unter dem Motto „New Work Deal“
1933 schufen die USA unter ihrem Presidenten Roosevelt den New Deal:
Der New Deal war eine Serie von Wirtschafts- und Sozialreformen, die in den Jahren 1933 bis 1938 unter US-Präsident Franklin Delano Roosevelt als Antwort auf die Weltwirtschaftskrise durchgesetzt wurden. Er stellt einen großen Umbruch in der Wirtschafts-, Sozial- und Politikgeschichte der Vereinigten Staaten dar. Die zahlreichen Maßnahmen wurden von Historikern unterteilt in solche, die kurzfristig die Not lindern sollten (englisch relief ‚Erleichterung‘), in Maßnahmen, welche die Wirtschaft beleben sollten (recovery ‚Erholung‘), und in langfristige Maßnahmen (reform ‚Reform‘). Unter relief fielen die Hilfen für die zahlreichen Arbeitslosen und Armen, unter recovery unter anderem die Änderung der Geldpolitik und unter reform zum Beispiel die Regulierung der Finanzmärkte und die Einführung von Sozialversicherungen.
Die weltwirtschaftliche, technologische und soziale Situation war natürlich eine völlig andere als heute, aber die Notwendigkeit für eine grundsätzlich neue Positionsbestimmung der Politik gegenüber der Wirtschaft ist momentan ebenso drängend. Daher wird es meiner Meinung nach Zeit für einen neuen New Deal, abgestimmt auf die Bedingungen der Arbeitswelt. eben einen New Work Deal. Dieser New Work Deal leitet sich aus den drei dominanten Strömungen einer globalisierten Weltwirtschaft ab:
- Der Kapitalismus stellt sich durch immer neue Exzesse selbst in Frage. Das Wesen des Kapitalismus ist die Erzeugung von Profit. Das soll auch so bleiben; der Kommunismus war und ist keine Alternative. Aber müssen Skandale wie bei VW, Deutscher Bank, die Panama Papers und so weiter wirklich sein? Man könnte die Erschaffung eines maßvollen Kapitalismus auch mit der Zähmung eines Tigers vergleichen. Der Tiger bleibt im Charakter ein Tiger, kann aber lernen, bestimmten Regeln zu folgen.
- Die Schere zwischen Produktivität und Arbeitskraft öffnet sich seit etwa 15 Jahren immer mehr. Wir steuern auf eine Arbeitswelt zu, in der immer weniger Menschen immer mehr Produktivität erzeugen. Das heißt, im klassischen Lohnarbeitssystem werden immer weniger Menschen ihr Geld verdienen können. Was machen wir aus all diesen Menschen? MiniJobber? Arbeitslose? Wie verteilen wir den von Maschinen erschaffenen Reichtum?
- Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer mehr. In Deutschland besitzt das reichste Prozent der Bevölkerung etwa ein Drittel der Vermögenswerte. Bildungschancen sind in fast keinem anderen OECD-Land so abhängig von der Herkunft und dem Familienstauts wie bei uns. Unser Ausbildungssystem ist starr, zertifikatshörig und dabei mit 18.000 Studiengängen gleichzeitig heillos überfrachtet.
Einige Ideen für die Politik
Auch wenn ich nicht mit den Feinheiten des politischen Betriebs in Berlin vertraut bin, wage ich doch die Prognose, dass die Arbeitspolitik in Zukunft ein wichtiges Spielfeld und ein Rangelplatz der politischen Prominenz (und der der Hinterbänkler) bleibt. Darum möchte ich den folgend einige Impulse für die politische Arbeit skizzieren:
- Wir müssen die juristischen Rahmenbedingungen von Arbeit modernisieren. Eine Mammutaufgabe, ich weiß. Und nicht gerade sexy. Betriebsverfassungsgesetz, Arbeitsschutzgesetz und so weiter sind ncht unbedingt Begriffe, die das Blut in Wallung bringen. Schlimmer wäre es jedoch, vor „dem Markt“ zu kapitulieren und und die Zügel schießen zu lassen. Dafür brauchen wir übrigens auch eine Ende des Freund-Feind-Denkens, von „Arbeitgebern“ und „Arbeitnehmern“ und so weiter. In der Neuzeit der Arbeit gibt es „keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, sondern nur moderne und unmoderne“ (Gerhard Schröder).
- Wir sollten Familien- und Bürgerarbeit finanziell besser anerkennen. Gerade in der Flüchtlingskrise hat sich gezeigt, dass ein Staat ohne Einsatz ehrenamtlicher Helfer und eines ausgeprägten Bürgersinns kollabieren kann. Der Soziologe Ulrich Beck hat bereits vor zehn Jahren eine Gleichgewichtung von normalem Job, Familienarbeit und ehrenamtlicher Tätigkeit vorausgesehen. Voraussetzung hierfür wäre eine gesellschaftliche Aufwertung der Familien- und Bürger-Arbeit (wie es in den linksliberalen Feuilletons der Reublik bereits diskutiert wird).
- Wir müssen über ein (bedingungsloses) Grundeinkommen sprechen. Mittelfristig wird an einem Grundeinkommen kein Weg vorbeiführen. Und zwar nicht nur aus ethischen, sondern aus wirtschaftlichen Gründen (siehe obigen Punkt 2 des New Work Deal). Wenn es zum prognostizierten „Produktivkraftschub“ durch Automation und Digitalisierung kommt, werdne wir die Begriffe „Arbeit“ und „Arbeitsplatz“ trennen und neu definieren müssen. Doch nur so wird sich der gesellschaftliche Frieden bewahren lassen.
P.S.
Der Beziehung von New Work und Politik habe ich in meinem aktuellen Buch ein ganzes Kapitel gewidmet („Arbeit als Aufgabe für Politik und Gesellschaft“).