Vorgestern war es wieder soweit: ein Teamcoaching bei einem großen Mittelständler, Industrie. Irgendwann kam das Thema natürlich auch auf die Arbeitsbelastung, die Familie, die Work-Life-Balance. Ich hatte hart arbeitende Menschen vor mir, teilweise außertariflich bezahlt, die sich dem Unternehmen verpflichtet fühlen und ihrne Job gerne machen.
Mein Teilzeit-Geständnis war wie ein Coming Out
Früher hätte ich an dieser Stelle in einem Teamcoaching vielleicht vielsagend und bedeutungsschwanger genickt, ein „Ja, kenne ich auch“ signalisiert und mich subtil solidarisiert mit der durchaus schwierigen Situation eines Vollzeitjobs inklusive unbezahlter Überstunden. Wäre ja auch glaubhaft in meiner Position als Selbständiger.
Mache ich aber nicht mehr. Ich habe an diesem Tag mein Gegenmodell erwähnt: Ich arbeite Teilzeit, 50 %. Meine Frau auch. Wir teilen uns Arbeit und die Erziehung unserer beiden Kinder. Damit sind wir aber in Deutschland eine verschwindend geringe Minderheit. Und das Irre ist: Es fühlt sich total richtig für mich an, aber in mir drin ist immer noch eine leise Stimme, die flüstert: Was sagen andere zu deinem Modell? Halten die dich jetzt für inkompetent nach dem Motto: Nur ein Vollzeit-Job ist vollwertig? Oder anders herum: Na, der macht sich ja einen schlanken Fuß. Versteht der überhaupt, wie wir malochen?
Inzwischen genieße ich sogar bei Vorträgen den Moment, wenn ich meine Teilzeit ins Spiel bringe und weiß, dass es jetzt bei Einigen im Hirn losrattert. Ich habe kürzlich auch dem Online-Portal Papas@Work zwei ganz persönliche Interviews zu diesem Thema gegeben (hier und hier). Nur musste ich mich anfangs selber überwinden, bis ich als Mann sagen konnte: „Ja, ich arbeite Teilzeit – und das ist gut so.“
Meine Teilzeit irritiert meine Umwelt
Ich bringe meine Kinder oft zur Bushaltestelle. Bei uns im Dorf werden die Kinder zur Schule und zum Kindergarten in einem Bus abgeholt – ein Service der Gemeinde. Irgendwann fragte mich eine Bekannte an der Haltestelle: Sag mal Markus, was arbeitest du eigentlich? Ich habe ihr dann zu erklären versucht, was ich als Coach, Trainer und Redner so mache. Aber ich weiß nicht, wieviel davon hängengeblieben ist außer dem Eindruck: Der Markus hat so viel Zeit, der kann seine Kinder ja oft zum Bus bringen. Ist der vielleicht sogar arbeitslos? Mein Gott, vielleicht muss seine Frau ihn sogar durchfüttern! Ich kann meinen Dorf-Nachbarn immer noch schwer erklären, dass ich oft im Home-Office arbeite und dass ein Großteil meiner Arbeit aus Nachdenken besteht. Bei mir im Dorf dominiert eine (männliche) Anpacker-Welt, für die Teilzeit schlicht kein Thema ist. Außer eben für Mütter mit kleinen Kindern.
Familienarbeit ist genauso anspruchsvoll wie jeder „normale“ Job
Nach insgesamt fünf Jahren Vatersein kann ich sagen: Erziehungsarbeit und Familienarbeit ist genauso hart wie ein „normaler“ Job. Als mein Sohn noch nicht lange auf der Welt war, habe ich auf Facebook im Scherz gepostet: „Jetzt, wo ich selbst Papa bin, würde ich allen alleinerziehenden Müttern gern das Bundesverdienstkreuz verleihen.“ Aber der Kern ist wahr. Kinder bringen dich an die Grenze – im Guten wie im Schlechten. Aber obwohl das so ist, würde ich es nicht mehr anders haben wollen.
Ich glaube, vielen Männern geht es ähnlich. Es ist eine Sehnsucht da, aus dem Hamsterrad auszusteigen. Auch wenn man seinen Job mag und auch, wenn man sich dem Unternehmen verpflichtet fühlt. Für diese Leute bricht New Work eine Lanze. Du bist ganz, du bist ein wertvoller Mensch, auch wenn du dich nicht komplett im Job aufreibst! Du bist vollwertig, auch wenn du keinen Vollzeit-Job hast. Arbeit ist wichtig, aber es gibt noch andere wichtige Dinge im Leben. Finde sie heraus! Damit immer mehr Menschen das Gefühl haben, sich für Teilzeit nicht rechtfertigen zu müssen. Damit daraus eine Bewegung wird: für die persönliche Zufriedenheit, für die Familie und für das Leben in seiner ganzen Fülle.